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Vom Sinn der Zwischenräume

Komische Gefühle, Gleichgültigkeit und die Heilkraft der langen Weile

Auf jeden Reiz unserer Aufmerksamkeit antwortet der Körper unmittelbar: Das Herz schlägt schneller, die Sinne sind geschärft, der Blutdruck steigt. Der Oganismus scannt augenblicklich, ob Gefahr droht oder nicht. Unsere unwillkürlichen Körperreaktionen sind ein evolutionär sinnvolles Schutzprogramm, das uns Druck macht. Damit fordert es uns dazu auf, unverzüglich aktiv werden zu können und im Notfall anzugreifen oder zu fliehen. Damit wir bei drohender Gefahr unmittelbar handeln, läuft diese Reaktionskaskade im Körper unwillkürlich und in immer gleicher Weise ab. In welcher Gefühlsfärbung und Tiefe dies auf uns wirkt, wird jeweils damit verknüpft, wie wir während des Ereignisses emotional gestimmt sind. Mündet diese Reaktionskette in einen körperlichen Ausdruck, wird der akute Bedrohungszustand aufgelöst.

Wie komische Gefühle entstehen

Im Alltag wimmelt es von „leisen“ Eindrücken wie Geräusche und Lichtreflexe, Duft- und Geschmackseindrücke, Berührungs- und Bewegungsreize, die wir nicht direkt zuordnen können oder die in ihrer unterschwelligen Präsenz im wahrsten Sinn des Wortes „auf die Nerven gehen“. Wir können unmöglich auf jede an uns gerichtete Handlungsaufforderung antworten, und in den meisten Fällen bleibt unsere körperliche Antwort auch aus. Normalerweise schaltet sich hier unser Gefühlshaushalt ein. Durch ihn bekommen wir ein körpereigenes Bio-Feedback zur Situation, in der wir uns gerade befinden. Wenn wir etwas leises wahrnehmen, das wir entweder nicht in einem Sinn-Zusammenhang erfassen können, hinterläßt das unmittelbar ein komisches Gefühl in uns. Bereit zu handeln, merken wir unterschwellig auf…

Die Heilkraft langer Weile

Wirken solche leisen Reize ohne Unterlass auf uns ein, so befinden wir uns auch ohne Unterlass im Hab-Acht-Modus. Unser Reizleitungssystem im Gehirn wird dadurch allmählich überstrapaziert. Stress gehört zum Leben, er an sich ist nicht das Problem. Problematisch wird es, wenn wir nur noch Kurzweil und keine langen Weilen mehr haben, keine Lücken und Pausen, in denen wir uns besinnen/zu unseren Sinnen kommen können und unserer körpereigenen Regulation Raum geben, um nachzukommen. In unserer digitalisierten Welt und der immer schnelllebigeren Zeit, in der alle enger und dichter wird, ist dies immer häufiger zu beobachten: Unterschwellige Daueralarmbereitschaft reduziert sowohl die Konzentrationstiefe als auch die Fähigkeit der Innenwahrnehmung. Das Fehlen von Zeit-Zwischenräumen, die für Regeneration und Reizverarbeitung so wichtig sind, ist die tieferliegende Ursache, die den stressbedingten Krankheiten zugrunde liegt.

Reizüberflutung schafft Gleichgültigkeit

Beständige niederschwellige Reize summieren sich auf Dauer zu einer einzigen „Reizfläche“. Unser Körper muss sich förmlich dagegen wehren, nicht andauernd im Alarmzustand zu schwingen. Dieses Wehren entspricht einem Widerstand, der langsam und sicher steigt, wenn wir uns nicht motorisch „entladen“. Die leibliche Antwort auf Druck, dem wir nicht entkommen können, ist die Erhöhung der Gewebespannung (Tonus): Der Körper zieht sich förmlich zusammen und reduziert die Elastizität, um seine Angriffsfläche zu verkleinern. Dadurch werden die ankommenden Schwingungen von Reizimpulsen erst wieder ab einer gewissen Stärke wahrgenommen. Hält dieser Zustand an, sind tonische Immobilität und Erschöpfung die Folge.

Durch das Leise der unaufhörlichen Reizimpulse entsteht mit der Zeit Gewöhnung. Durch Gewöhnung an die langsame Stresszunahme werden wir vom Bewußtsein über unsere Spannungszustände allmählich entkoppelt – seelische, geistige und körperliche Unzentriertheit in allen möglichen Variationen ist die Folge. Im schlimmsten Fall wird für uns alles gleich-gültig, wir verlernen zu unterscheiden und Prioriäten zu setzen. Unsere emotionale, körperliche und geistige Schwingungsfähigkeit schränkt sich ein. Das Notprogramm im Hintergund ist weiter aufgeschaltet und steckt gleichzeitig in der Handlungsaufforderung fest. Bleibt unsere Antwort auf Reizimpulse als körperlicher Ausdruck verhindert, wird dieses Ungleichgewicht schließlich durch Symptome auf die Bühne des Bewußtseins gehoben: Wir sind schlecht gelaunt, uns platzt der Kragen oder wir fühlen uns krank – und wenn wir nicht regulierend einwirken, werden wir es auch.

Die Sprache des Körpers verstehen

Lösung geschieht in der Regel weniger durch Hau-Ruck-Aktionen als vielmehr durch moderate motorische Tätigkeit, die den Geist beruhigt und Körper und Seele Raum gibt, um sich ordnen und entfalten zu können. Damit wir die Sprache unseres Körpers  verstehen, sollten wir alles fördern, was es uns ermöglicht, ihn kennenzulernen – so verlieren wir Angst, nehmen differenzierter wahr  und gewinnen Handlungsspielraum, in dem wir uns selbstbestimmter verhalten können.

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